Der Wal, das Schweigegelübde oder Zeit heilt in der Tat fast alle Wunden!

Manche Ereignisse verschlagen einem die Sprache und mir ist es so ergangen als mein Vater vor zwei Monaten gestorben ist.

Das ich weder hier noch auf FB seit dem geschrieben habe, liegt daran das ich keine Worte hatte. Keine Worte um zu beschreiben wie ich mich fühlte, wie tief und hart der Verlust mich getroffen hat. Es ist so als ob er all meine Worte mitgenommen hätte, als er uns verlassen hat. Die Lücke die er hinterlässt fühlte sich für mich wie ein Abgrund an.

Ob wohl uns die Ärzte darauf vorbereitet haben, das die verbleibende Zeit unseres Vaters limitiert ist, so hatte ich doch die Hoffnung, dass wir noch ein gemeinsames Weihnachten erleben würden. Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage dass meine Schwester und ich uns schon seit vielen, wirklich vielen Jahren mental darauf vorbereiten, das unser Vater uns verlässt. Papa Lauterbach war schon seit fast 30 Jahren ein wirklich kranker Mann, und die Krankenhausaufenthalte waren nicht mehr zählbar. Aber er hatte einen unfassbaren Lebenswillen und noch mehr Lebensfreude, immer wieder ist er wie Phönix aus der Asche, von seinem Krankenlager auferstanden. Nur diesmal hat die Kraft nicht mehr gereicht, vielleicht hat aber auch endgültig die Sehnsucht nach seiner Frau gewonnen.

Ich glaube dass ich gerade das erste Mal erlebe, wie echte Trauer sich anfühlt. Es ist eine hässliche Mischung aus dem Gefühl von Liebeskummer, Angst und Machtlosigkeit. Ich glaube dass mir in meinem ganzen Leben noch nie etwas die Sprache verschlagen hat, aber die erste Woche nach seinem Tod, konnte ich kaum sprechen. Es gibt glaube ich sowas wie eine Art Pflichtgefühl, so dass man da funktioniert, wo man funktionieren muss. So war es auch bei mir, aber sobald es keine Pflicht gab, war jedes Wort zu anstrengend. Noch nie wollte ich so sehr vor meinem Leben weglaufen wie in den letzten Wochen. Hätte ich die Möglichkeit gehabt „unter zu tauchen“ wie man so schön sagt, ich hätte es ohne zu zögern getan und sehne mich manchmal immer noch danach.

Die Wahrheit ist, dass ich nicht weiß wie ich mit meiner Trauer umgehen soll. Der Satz den ich in den vergangenen Wochen am häufigsten gehört habe ist, das ich mich mit meiner Trauer auseinandersetzten muss oder mich meinen Gefühlen stellen soll. Aber wie geht das???

Es ist ja nicht so, das ich nicht zugeben könnte dass ich traurig bin. Was kann man noch tun um sich mit so was auseinanderzusetzen? Der Liebste meint, das ich darüber schreiben muss, das schreiben meine Art ist sich mit allen Lebenslagen auseinanderzusetzen und ein Teil von mir denkt und hofft das er recht hat.

Aber schreiben fällt mir gerade schwer! Das hier ist sicher mein sechster oder siebter Versuch mich hinzusetzten und zu schreiben und vielleicht ist er diesmal von Erfolg gekrönt. Die meisten Versuche endeten mit Tränen oder mit stummen auf dem Bildschirm starren, diesmal geht es schon um einiges besser. Schon 483 Wörter und noch keinmal das Taschentuch gezückt.

Eigentlich würde ich Euch jetzt gerne erzählen wie ich zu meiner Pflegefamilie gekommen bin und warum ich mich jetzt wie eine Halbweise fühle, weil meine Pflegeeltern beide verstorben sind. Aber das wäre ein Spaziergang auf dünnem Eis für mich und da ich bisher ein sehr schönes Wochenende hatte, würde ich gerne vermeiden das ich mich doch noch in einen Wasserfall verwandle. Ich werde Euch diese Geschichten irgendwann erzählen, denn sie sind es wirklich wert aufgeschrieben zu werden.

Dieser Eintrag dient dem Zweck das Schweigen zwischen mir und der Welt zu brechen, denn irgendwie habe ich mir selbst ein Schweigegelübde auferlegt, das erst dann aufgehoben ist, wenn ich es schaffe über meinen Vater zu schreiben. Das ist seltsam oder? Eigentlich fing es damit an, das ich Facebook nicht lesen wollte, weil dort lustige Sachen standen und es sich nicht richtig angefühlt hat, über etwas zu schmunzeln oder gar zu lachen, wenn man doch gerade jemanden verloren hat. Noch schlimmer wäre der Gedanke selbst etwas Lustiges zu schreiben, dann lieber gar nicht, dachte ich mir.

Immer wenn jemand stirbt der in meinem Leben eine Bedeutung hat, bin ich erstaunt dass die Welt sich einfach weiter dreht. Wir sind so schrecklich vergänglich und die Spuren die wir hinterlassen, lassen sich so leicht verwehen wie ein Schriftzug im Sand. Natürlich gilt das nicht für alle, aber für die Breite Masse eben doch.

Ich würde gerne etwas über meinen Vater schreiben, das seinem Leben Nachhaltigkeit verleiht und das auch außerhalb der Herzen, die ihn gekannt haben.

Heute wird mir das nicht gelingen, weil es zu schmerzhaft wäre, aber lasst mich soviel sagen, er war ein kleiner Mann mit einem großen Herzen, dessen simple Entscheidung mich in seine Familie zu holen, mein Leben für immer verändert und geprägt hat. Er war weiß Gott kein Heiliger und meine Schwester und ich könnten ein Buch darüber schreiben, womit er uns in den Wahnsinn getrieben hat. Aber das einzig entscheidende für mich ist, das er mir ein großes Geschenk gemacht hat, nämlich sich selbst und eine zweite Mutter und eine Schwester direkt dazu.

Er war gerade in den letzten Jahren der Mittelpunkt meines Universums und nicht nur meines, sondern auch dem meiner Schwester und selbst der Liebste fühlte eine Erschütterung der Macht, als mein Vater einschlief. Wir alle sind um ihn rum gekreißt und erst als er fort war, haben wir richtig gemerkt wie groß sein Platz in unserem täglichen Leben war. In den letzten Jahren sind wir unter anderem jeden Sonntag mit ihm zusammen gewesen und ich gestehe ehrlich, das wir uns oft gewünscht haben, den Tag einfach im Bett verbringen zu können. Es wäre gelogen wenn ich nicht zugeben würde, das wir die „geschenkte“ Zeit nicht auch genieße würden, aber im Hintergrund habe ich immer noch einen Hauch von einem schlechten Gewissen, weil der Sonntag doch meinem Vater gehört.

Vielleicht bedeutet sich mit etwas „auseinanderzusetzten“ auch einfach los lassen. Das kann ich noch nicht! Sein Kontakt ist immer noch in unseren Telefonen gespeichert, obwohl die Wohnung gekündigt und das Telefon abgemeldet sind, aber in meinem Kopf ist es, als würde ich Ihn löschen, wenn sich seine Kontaktdaten lösche. Zweimal am Tag erinnert mich mein Telefon daran, meinen Vater anzurufen, jedes mal steht auf dem Display „Papa Lauterbach anrufen / Zuckereinheiten“ und jedes mal denke ich „Das würde ich gerne, aber ich kann es nicht mehr“ Er hat es gehasst wenn ich ihn daran erinnert habe, weil er sich dann immer bevormundet gefühlt hat.

Der Liebst fragt mich jede Woche ob ich die Erinnerung nicht endlich löschen möchte, aber ich betrachte es wie ein Immunisierungsverfahren. In den ersten Wochen nach seinem Tod hatte ich ein paar öffentliche Tränenausbrüche, weil irgendeine Erinnerung mich überraschend erwischt hat. Der Duft seines Aftershaves an einem anderen Mann, was selten zu finden ist, weil er Tabac Original benutzt hat, ein Duft der eigentlich ausstirbt. Aber immer dann wenn man es nicht brauchen kann, kreuzten solche Dinge den eigenen Weg. Ein Mann mit Rollator oder zwei ältere Männer die sich auf Kölsch unterhielten, ein trauriges Lied oder die Erwähnung von Pferdewurst. Es ist erstaunlich was einen alles in ein Wasserwerk verwandeln kann. Einige Wochen konnte ich keine Musik ertragen, weil mich jedes Lied an meinen Vater erinnert hat, was angesichts meines Musikgeschmacks eher seltsam ist. Ich dachte das wäre ein Liebeskummer Syndrom, scheint aber bei jeder Form von Kummer zu funktionieren.

Auch Facebook ist zur Zeit Alptraum und Segen zugleich, denn ich bekomme regelmäßig mitgeteilt das ich „Erinnerungen“ habe und erschreckend viele davon sind mit meinem Vater. Das gibt mir jedes mal einen schmerzhaften Stich ins Herz, aber gleichzeitig finde ich es schön, weil es mir vor Augen führt, wie viel Spaß wir zusammen hatten. Freud und Leid liegen Tatsächlich nah beieinander.

Dieses Bild wird mich auch irgendwann bei FB erinnern, es war sein erstes selbstgemachte Selfie und das letzte mal das ich etwas mit ihm gepostet habe….

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Aber auch wenn ich es ungerne zugebe, weil es mir falsch vorkommt, so ist doch etwas wahres an dem Spruch „Zeit heilt alle Wunden“ (WOW ich bin heute eine Wundertüte an schlauen Lebensweisheiten) denn es geht mir immer besser und ich kann auch wieder lachen ohne mir dabei schlecht vorzukommen. Es wird also Zeit das ich meine Kommunikation mit der Welt wieder aufnehme. Warum? Weil ich gerne kommuniziere und weil mir etwas fehlt, wenn ich meine Gedanken nicht mitteilen kann. Meine Innere intellektuelle Exhibitionistin möchte wieder raus zum spielen.

Ich werde also versuchen mich an den Rat den ich anderen in so einer Situation geben würde, selber zu befolgen, nämlich ihn in meinem Herzen zu bewahren, oft über Ihn sprechen und dann nicht in Schwermut, sondern mit Gelächter. Denn nur die Menschen über die wir nicht sprechen, sind vergessen.

Natürlich würde ich mir auch den Rat geben, den Berg an Kondolenzschreiben zu lesen und vor allem zu beantworten, aber Rom wurde ja auch nicht an einem Tag erbaut… 😉

5 Kommentare zu “Der Wal, das Schweigegelübde oder Zeit heilt in der Tat fast alle Wunden!

  1. Liebste Debby, ich habe alle Menschen die ich liebe verloren. Mein ganzes Leben hindurch stand ich immer wieder an einem Grab! Der Schmerz hat mich nie verlassen. Zuletzt ging meine Mutter. Ja es tut weh und man begreift nicht, dass die Welt sich weiter dreht, Menschen lachen, ihrem Tagwerk nachgehen und Vieles mehr. Debby es gibt keinen Trost. Gesprochene Worte wirken nicht. Im Schmerz ist man immer einsam. Es dauert. Durchleide es, nur so kannst Du Deine Lebensfreude eines Tages wieder zurück gewinnen. Was bleibt ist Erinnerung, Dankbarkeit, dass Dein Vater Dir etwas gegeben hat, dass Dir niemand wegnehmen kann. Das Band zwischen Euch kann auch der Tod nicht auslöschen.
    Mit Liebe, Kristina

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  2. Fühl dich lieb gedrückt. Ich kenne diese Art von Schmerz, Hilflosigkeit, Bodenlosigkeit und Fassungslosigkeit, egal, wie definitiv man wusste, dass es passieren würde. Es ist immer ein Zusammenbruch der eigenen Welt und man muss sich und sein Leben Stück für Stück wieder zusammenpuzzlen. Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Nimm dir Auszeiten, schäme dich nicht für Tränen. Sie zeigen nur deine Liebe, nicht eine Schwäche. Nimm Hilfe an, wenn du sie brauchst und sei es nur eine Schulter zum Anlehnen.

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  3. Liebe Debby, falls die Zeit ein Quacksalber sein sollte, gibt es ein homöopathisches Mittel namens IGNATIA. Vielleicht unterstützt es Dich bei Deinem Vorhaben! Danke für Deinen Tagebuch-Eintrag! Alles Liebe! Ina

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