Es wird Euch sicher nicht überraschen, dass ich seit meinem „Wal Outing“ auch in meinem realen Umfeld, außerhalb des WWW, sehr viel über die Herausforderung der Veränderung spreche.
Weil ich alle Scham abgelegt habe und die Dinge jetzt endlich beim Namen nenne, haben viele Menschen das Bedürfnis sich mir anzuvertrauen, denn worüber ich schreibe, scheint so extrem zu sein, dass die eigenen Nöte scheinbar nicht mehr so dramatisch wirken und man sich trauen kann darüber zu sprechen oder ich möchte fast sagen, sie zu beichten. Ich freue mich darüber sehr, denn auch dadurch lerne ich selbst viel und bekomme neuen Stoff zum Nachdenken.
Das auffälligste, was sich bisher aus den unterschiedlichen Gesprächen rauskristallisiert hat, ist das viele ein Problem mit dem „Anfang“ haben. Ich kann das sehr, sehr gut verstehen, denn mittlerweile finde ich es fast ein wenig naiv zu glauben, dass man von einem auf den anderen Tag sein Leben inkl. aller Angewohnheiten, ändern kann. Ernsthaft, jeder Mensch der schon mal etwas „Maßgebliches“ verändert hat, muss die Erfahrung gemacht haben, das aller Anfang schwer ist. Überlegt doch mal wie das ist, z.B. mit einem neuen Job, einer neuen Stadt oder auch einer neuen Liebe. Man hat immer ein gewisses Maß an Anpassungsproblemen. Das ist doch ganz normal!
Und überhaupt, was zählt eigentlich als der Anfang? Der Tag an dem wir das erste mal das fette Nutella Brötchen zum Frühstück, gegen ein Müsli austauschen? Oder der Moment, in dem wir alle Schokoladenvorräte in den Müll werfen oder verschenken? Oder ist es der Tag, an dem wir das erste mal unseren ganzen Mut zusammen nehmen und in ein Sportstudio oder Schwimmbad gehen?
Ich glaube, dass der Anfang viel früher beginnt bzw. beginnen sollte, nämlich im Kopf. Das kann ein Prozess sein, der ein paar Wochen oder auch Monate dauert und diese Zeit sollte man sich auch dringend nehmen. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieses „darüber nachdenken“ der wichtigste Grundbaustein für den Beginn einer ernsthaften, langfristigen Veränderung ist.
In meinem Einführungsbericht „Wer ich bin und was Euch hier erwartet“ habe ich geschrieben, dass sich mein Plan innerhalb von zwei Wochen kristallisierte. Das ist nicht ganz richtig und ich will ja ganz ehrlich sein. Die gigantische Zahl von 158,9 Kilo, am 02. Januar bei den WW ist der Auslöser der meinen persönlichen roten Alarmknopf endgültig gedrückt hat. Aber über mich und meine rasante Entwicklung zu einem Sumo Ringer, habe ich schon seit September 2013 nachgedacht. Wir flogen in die USA um an einer Hochzeit teilzunehmen und haben das auch gleich mit einer kleinen Rundreise verbunden. Auf dieser Reise sind ein paar Fotos entstanden, bei deren Anblick ich schon eine ziemlich unangenehme Gänsehaut hatte.
Irgendwann hab ich sogar mal den Liebsten angemeckert, dass er sich mal mehr Mühe geben sollte, schönere Bilder von mir zu machen. Aber was soll ich sagen, er kann nur fotografieren was vor der Linse steht und leider haben wir nun mal keine magische Kamera, die überflüssige Kilos unsichtbar machen kann. Unter anderem haben wir uns auch mit ein paar Kollegen getroffen, die beruflich in den Staaten waren und in dieser Zeit entstand ein Foto von einer Freundin und mir, das mir später fast die Tränen in die Augen getrieben hat. Als wir uns die Bilder damals direkt angesehen haben (es lebe die verdammte digitale Technik) habe ich, wie immer in so einer Situation, erst mal ein paar nette Witze auf meine Kosten gemacht. Aber in Wirklichkeit ist mir ein eiskalter Schreck in die Glieder gefahren.
Ich hab die Freundin gefragt und sie hat mir erlaubt diese Bild zu Posten. Ihr seht es selbst, sie sieht wie ein zarte Elfe aus und ich wie der unglaubliche Hulk, der sie mit einer Umarmung zerbrechen könnte. Das war ein schmerzlicher Anblick. Ab da konnte ich dann auch nicht mehr ignorieren, dass ich keine 500 Meter mehr gehen konnte ohne Schnappatmung oder Rückenschmerzen zu bekommen. Unser altes Sofa war an meinem Stammplatz, am Gestell angebrochen, auch kein Zufall
Und dann waren da auch die Dinge, die ich schon länger nicht mehr getan hatte wie z.B. Tanzen. Ich tanze unheimlich gerne und auch recht gut kann. Aber wenn man nach den ersten fünf Takten aus der Puste ist, dann fängt man irgendwann erst gar nicht mehr damit an, einen Fuß auf eine Tanzfläche zu setzten. Ich habe immer behaupten, dass ich nicht mehr tanzen gehen will, weil es keine Clubs mit guter Musik gibt. Ich habe überhaupt keine Ahnung ob dem so ist, aber es war leichter das zu behaupten, als zuzugeben dass ich nicht mehr tanzen kann, weil ich befürchten muss einen Herzinfarkt zu bekommen, wenn ich meinen Körper so in Wallung bringe. Das letzte mal, das ich unbeschwert (wieder ein schönes, zufälliges Wortspiel) getanzt habe, war auf meiner Hochzeit 2010. Ich vermisse es sehr!
Ich habe über viele Dinge nachgedacht, die ich nicht mehr tun kann, weil es entweder körperlich wirklich nicht mehr geht/ging oder weil ich mich schämte. Ich habe im Laufe der Jahre an die zehn Gutscheine für Thermen oder Saunalandschaften bekommen (Vielleicht waren das alles Winke mit Zaunpfählen?). Ratet mal warum ich die noch nicht eingelöst habe?
Und immer wieder ging es auch um den Liebsten. In meinen Augen ist er der schönste und erotischste (abgesehen von Alexander Skarsgård aus True Blood ) Mann der Welt. Und es ist ihm wichtig gut für mich auszusehen. Er würde nie etwas anziehen was mir nicht gefällt und wenn wir ausgehen, fragt er mich immer, welches Outfit ich mir für ihn wünsche. Und da bin ich, die sich hat gehen lassen und die ihn niemals fragt, was sie anziehen soll, damit ich erst gar nicht in die Verlegenheit kommen könnte, sagen zu müssen „Das passt mir nicht mehr!“. Hat der Liebste nicht auch eine Partnerin verdient, die sich für ihn herausputzt und sich Mühe gibt an seiner Seite glänzend auszusehen? Könnten wir nicht zusammen, wenn ich mir besser auf mich achten würde, ein wundervolles Power Couple sein, statt der Wal und der Aal?
All diese Gedanken und noch einige mehr, haben mich seit September 2013 beschäftigt und es war Teilweise eine sehr dunkle Zeit in der ich auch depressiv gewesen bin. Bevor ich überhaupt wieder zu den WW gehen konnte und hier auch nur den ersten Satz geschrieben hatte, musste ich lernen die unangenehmen Wahrheiten überhaupt zu „denken“ Ich musste aufhören alle Begriffe die mit „Größe“ zu tun hatten, mit einem „chen“ zu verniedlichen wie zum Beispiel „Ich bin kein Dickerchen, sondern ich bin dick!“ Ich vermute, dass unser Kopf merkt, wenn wir eine Wahrheit vertuschen wollen und leider hilft er uns dabei.
Ich will damit sagen, dass zwar erst im Januar endgültig Alarmstufe 3 ausgelöst wurde, aber da hatte ich die erste Schlacht meines Krieges, nämlich die in meinem Kopf, schon gewonnen.
Denn ich hatte mich getraut, den ersten physischen Schritt zu tun und zu den WW zu gehen um dort endgültig der Wahrheit ins Auge zu schauen. Dieser Schritt kann für jeden ein anderer sein, aber man sollte ihn nicht ohne mentale Vorbereitung tun. Damit kann man sich einen Schock einhandeln, der einen mehr entmutigt, als motiviert.
Ich habe mich mental auf meinen Krieg vorbereitet und ich glaube für die noch kommenden Schlachten gut gerüstet zu sein, trotzdem werde ich aber sicher auch noch die ein oder andere verlieren! Es gibt keinen Krieg, ohne Opfer auf beiden Seiten… 😉